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Heines biblische Theologie als Interpretation von Weltliteratur und Wort Gottes /65/ entspricht durchaus in manchem seinen vortheologischen, nämlich mythologischen Neigungen, die ihn sogar dazu verführen, wenn z. B. Liebe im Spiel ist wie in der Stadt Lucca, daran zu glauben, >>daß alles in der Welt ein Wunder sei, und die ganze Weltgeschichte eine Legende.<</66/ In der Regel ist Heine aber ein skeptischer Theologe, der die Welt als verborgene Theologie und als verborgene Dichtung auffaßt und somit die Nachahmung und Nachschöpfung durch den Dichter rechtfertigt./67/ Dadurch behält (trotz aller Religionskritik an den jeweiligen Verfaßtheiten und Interessen) die Religion ihre Poesie und den Charakter des kindlichen Nachspielens, wie in der Schilderung einer Kinderprozession deutlich wird, die die Passionsgeschichte darbietet./68/ Heine antwortet auf die poetische Religion durch eine literarische Theologie, die einen stark religionspsychologischen Charakter besitzt. Insofern ist gerechterweise einzuräumen, daß ein Großteil der Heineschen Theologie mit noch größerer Berechtigung, wenigstens in ihren analysierenden Teilen, als Religionswissenschaft bezeichnet werden müßte; seine literarische Absicht dagegen: nämlich die der Aufklärung in Form der Verkündigung als >>Künstler, Tribun und Apostel<<, wie es in der Romantischen Schule heißt,/69/ ist in der Tat die Leistung einer ihm eigentümlichen praktischen Theologie, der selbstverständlich nicht einmal das Wort >>homiletisch<< fremd ist./70/ Sein psychologischer Spürsinn bewährt sich in der Besprechung der Dogmengeschichte und Reformationsgeschichte genauso wie bei der bereits erwähnten Schellingschen Konversion, die übrigens nicht als Konfessionswechsel stattgefunden hat. Die frühe Dogmengeschichte versteht Heine als Geschichte von Byzantiner Hofintrigen./71/ Und über den Wormser Reichstag von 1521 heißt es mit Betonung der gleichen Pragmatik, die etwa im König-David-Gedicht des Romanzero vorwaltet: >>Jeder hat hier etwas zu gewinnen und dachte heimlich an irdische Vorteile<<./72/ Dagegen hat seine Bekehrungspsychologie, die Freidenker auf dem Totenbette betreffend, in Hinsicht auf Schelling die Konsequenz: >>daß der Mensch sich dem Katholizismus zuneigt, wenn er müde und alt wird<<./73/ Besonders beeindruckend liest sich seine Psychologie des Beters, ein Kurzaufriß der aszetischen Theologie. Da sich Gott nicht übereilt, besteht die Bitte aus der Charakteristik des ewigen Gottes und der Feststellung von der Sterblichkeit des Menschen: >>Du bist ewig und hast Zeit genug und kannst warten. Ich aber bin sterblich und ich sterbe<<./74/ Nur nebenbei sei bemerkt, daß die Familiarität des Gebetstons sich aus der Tradition schon des Alten Testaments herschreibt. In das über die >>gewisse Familienähnlichkeit<< bei >>Pfaffen in der ganzen Welt<<, die Heine als das >>diplomatische Corps Gottes<< apostrophiert/75/, und über die Physiognomie der Juden, deren Nase ein Zeichen dafür sein könnten, daß sie von ihrem Gott an der Nase herumgeführt worden wären./76/ Neben der Religionspsychologie und Anthropologie zur Erklärung religiöser oder theologischer Sachverhalte sind Heines moraltheologische Auslassungen von Interesse. Immerhin hat man ihm mit einem Schlagwort nicht zu Unrecht >>die Abschaffung der Sünde<< zugeschrieben./77/ Heine behauptet beispielsweise, was ihm noch heute Probleme wenigstens im katholischen Lager bereiten würde: die Sittlichkeit sei unabhängig von Dogmen und Legislation, sie sei >>ein reines Produkt des gesunden Menschengefühls, und die wahre Sittlichkeit, die Vernunft des Herzens<<, werde ewig fortleben, >>wenn auch Kirche und Staat zu Grunde gehen<<./78/ Die Sittlichkeit sieht er andererseits in jenem autokratischen Bibeltum begründet, >>in dem schönen heiligen Erziehungsbuche für kleine und große Kinder<<./79/ Lobend hebt er die in jenem Sinne evangelische Tugend in norddeutschen lutherischen Pfarrhäusern hervor, worin die Entsprechung von Wort und Tat zur Geltung kommt./80/ Diese praktische Konsequenz aus theologischem Berufe überzeugte den Dichter am meisten. Eine gewisse Rigorosität, ja selbst die Verteidigung des kanonischen Rechts muß deshalb nicht verwundern. In Anbetracht seiner eigenen katholischen Eheschließung bemerkt er über die dabei einzuhaltenden Forderungen von seiten der Priesterschaft: >>denn wer ihre einsegnende Garantie nachsucht, muß sich auch ihren Bedingungen fügen<<./81/ Aufgrund dieses Rigorismus liebt er nicht das >>Pompadourchristentum<</82/ und hatte z. B. bereits als junger Reisebilder-Autor mehr Respekt vor den frommen polnischen Juden als vor ihren aufgeklärten westlichen Brüdern./83/ Er toleriert trotz der feststellbaren Düsternis und Blutrünstigkeit den >>Zelotismus<< eher als >>die toleranten Amphibien des Glaubens und des Wissens<<, er verachtet jene >>Kunstgläubigen, die ihre erschlafften Seelen durch fromme Musik und Heiligenbilder kitzeln lassen<<, jene >>Religionsdilettanten, die für die Kirche schwärmen, ohne ihren Dogmen einen strengen Gehorsam zu widmen, die mit den heiligen Symbolen nur liebäugeln, aber keine ernsthafte Ehe eingehen wollen<<./84/ Es ist gewiß, daß Heine weniger die systematische Theologie mit ihren oft ärgerlichen >>Streitigkeiten<< und >>Miserabilitäten<< mit >>engbrüstiger Dogmatik und wortklaubender Polemik<< besonders im protestantischen Sektor schätzte als Exegese und Kirchengeschichte./85/ >>Es sind in Deutschland die Theologen, die dem lieben Gott ein Ende machen<<, lautet ein Gedankensplitter./86/ Darum favorisiert er die historischen Disziplinen, nicht zuletzt die Geschichtstheologie/87/ und Eschatalogie, die seiner eigenen neuen Apokalypse als Auslegung dient./88/ Als Prophet ist er dann auch unter anderem in die deutsche Literaturgeschichte eingegangen. Für dieses Amt hat er sich bewußt auf Amos berufen./89/ Seine Religions- und Theologiekritik ist unter dieser Prämisse zu sehen. Angesichts der Unter-Mischung so mancher theologischer Disziplinen unter seine Schriften kann man seinen Stolz über jenes saint-simonistische französische Urteil Prosper Enfantins verstehen und Heines daraus abgeleiteter Formel nur zustimmen: er sei >>der erste Kirchenvater der Deutschen<<./90/ Vielleicht wären die Kirchen gut beraten, tatsächlich oder noch eifriger von ihm Gebrauch zu machen, da sein Weltbürgertum und Kosmopolitismus eine zutiefst religiöse Struktur aufweist und weil er als >>Grunddogma<< der allgemeinen >>Völkerliebe<< immerhin das >>Evangelium<< von einst erkennt./91/ Hoffnungsvoll kann stimmen, daß beispielsweise der katholische Studentenpfarrer Heiner Koch bei seinem Weggang von der frisch nach Heine benannten Düsseldorfer Universität zu höheren Aufgaben im Kölner Generalvikariat im April 1989 freimütig der Presse bekannte, für ihn sei Heinrich Heine ein Vorbild. Der Dichter sei lernfähig gewesen und habe sich in kein Schema pressen lassen. Das müsse auch für die Kirche gelten./92/ Auch ich meine: nur der unbefangene Umgang mit der Menschheitstradition kann diese stets wieder zur wichtigsten Frage werden lassen für jene vielen, die nicht von vorneherein wissen, was sie tun sollen.
Der Aufsatz wurde entnommen Heinrich Heine im Spannungsfeld von Literatur und Wissenschaft. Symposium anläßlich der Benennung der Universität Düsseldorf nach Heinrich Heine, herausgegeben von Wilhelm Gössmann und Manfred Windfuhr, in der Schriftenreihe Kultur und Erkenntnis - Schriften der Philosophischen Fakultät der Universität zu Düsseldorf - im Auftrage der Philosophischen Fakultät hrsg. von Rudolf Hiestand, Wolfram Hogrebe, Bernd Mannwald, Horst Nickel, Friedhelm Nicolin, Hans Süssmuth, Friedrich -K. Unterweg, Peter Wunderli, Band 7, Essen 1990.
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